Montag, 18. Mai 2009

Die kanarische Logik

"Der kleine Gedanke"
by Steven D!

Die Canarios sind schon so’n Völkchen für sich! Das kannst Du mir glauben. Wenn Du ein „guiri“ bist, so nennen die Einheimischen die Touries liebevoll, kriegst’e ja nix mit außer Sonne, Pool, lecker Fresschen, vino tinto und amor. Alles inklusive bei Neckermann, versteht sich! Bekommst so’n albernes buntes Plastikband ums Handgelenk geschnallt, da wo Du nie braun wirst, und mit dieser Hundemarke ist alles für lau im Hotel. Da versackst’e dann auch meistens. Denen zu Hause erzählst Du nach Deiner Rückkehr, Du hättest die Insel erforscht. Schon klar, Mann! An der Hotelbar am Tresen hast’e Deinen Hintern platt gesessen. 4,5 Promille – klinisch tot. Du bist mir so’n Gran-Canaria-Forscher – ich lach mich schlapp!

Wenn Du auf den Kanaren wohnst - so für immer, mein ich – läuft da ein ganz anderer Film ab. An die Mentalität der Inselbewohner musst Du Dich erstmal gewöhnen. Wenn Du da überleben willst, kannst Du Dir Deine ganzen Maßstäbe und Grundsätze, alles was Dir mal hoch und heilig war, in den A…. stecken – ähm, über’n Haufen schmeißen. Unser Charly, der kann da ein Lied von singen; lebt ja schließlich lange genug auf „Gran Malaria“. Der Alte kann Stories verzählen, da schnallst’e ab. Hier ist eine davon:

Es war einmal ein kanarischer Schuster im Cruz Major. So hieß der Supermarkt in den Neunzigern, wenn man von einer der Guiri-Hochburgen im Süden in den Norden Richtung Las Palmas fuhr. Jetzt ist da ein Hyperdino drin; das ist ne Kette à la Karstadt oder Kaufhof in Ger-Money. Na ja, auf jeden Fall ist dieser Schuster der Erste und Einzige seiner Art auf der Insel gewesen. In dessen Bude tobte der Bär, denn der Kerl war so etwas wie „Mister Minit“ auf kanarisch: Schuhreparaturen, Schuhpflege, Schlüssel, Schlüsselanhänger, Gravuren, und … und … und. Alles Mögliche bot der Canario im Cruz Major feil. Für seine Kundschaft, die aus sämtlichen Teilen des Eilands zu ihm strömten, war er gleichzeitig noch Psychotherapeut, Seelsorger und sprechende Bild-Zeitung in einer verdammten Person. Heute ist er „der letzte Mohikaner“, der das „Hyperdino-Massaker“ im Cruz Major, die feindliche Übernahme durch einen Konzern, überlebt hat. Alle anderen von früher haben die platt gemacht, da läuft nix mehr. Nada! Tote Hose.

Der Charly also, der hatte kaputte Schuhe. Die Ledersohlen waren fratze. Also setzte der sich in seine Rostlaube, fuhr zu dem Schuhmacher hin und ließ sich flammneue Lederreifen aufziehen. Die Dinger lösten sich nach drei Tagen in Wohlgefallen auf, und unser Köchlein düste wieder hin zu dem Schuster, die Sohlen reklamieren. Der guckte sich die Quadratlatschen an und sagte zum Charly auf Spanisch: „Señor, die Schuhe sind nass geworden, und das kann der Kleber auf den Tod nicht ab!” (Hä, das kann der Kleber nicht ab? Ich nix verstehen. No comprendo. Was schmiert der Flicker denn da für’n Zeug drunter, Amigos? Etwa die gesammelten Exkremente seiner schlaflosen Nächte!?) Darauf Charly so auf die höfliche Tour: “Mag ja sein, aber ich wohne in Tenteniguada*, da regnet es auch schon mal.” Jetzt kommt’s! Der Flickschuster beäugte Charly argwöhnisch über den Rand seines versifften Nasenfahrrads und entgegnete ihm - völlig fassungslos über die “Dummheit” seines deutschen Kunden: “¡Hombre, tranquilo! (Heißt frei übersetzt: Du Trottel, mach mal halblang!) - Dann musst Du eben die Schuhe ausziehen, so lange es regnet.” Tja, Amigos, so einfach ist das!

Auf diese Weise funktioniert die kanarische Logik.

* „Tenteniguada“ – Boah, was für ein Zungenbrecher! Der Name sagt Euch bestimmt nix. Mir erst auch nicht. Das ist ein kleines Dorf auf’m Berg im Landesinneren, weit weg vom Schuss, wo Charly nach Feierabend sein Dasein als so’ne Art kanarischer Almöhi fristet.