Montag, 4. März 2013

Seemannskonzert im Yachthafen Gran Canaria

mit Anleihen von Abenteurer T. Peters

Vom Bordradio des Nachbarbootes plärren spanische Schlagerklänge, müde kreischen einige Möven und von der kleinen Bootswerft nebenan klingen vereinzelt helle Klänge von den Werkzeugen der Bootsmechaniker. Die Sonne knallt vom Dezemberhimmel und eine mäßige Brise aus dem Norden lässt hunderte Bootsstaagen sehr leise, aber konstant heulen, was das Hafenkonzert an diesem lauen Nachmittag im Sportboot-
 hafen von Las Palmas de Gran Canaria vollendet.

Sportboothafen von Las Palmas de Gran Canaria  © T. Peters
Die „Mystique“, das Segelboot, das mich auf meinem Weg per Anhalter über den Atlantik von Gibraltar nach Gran Canaria gebracht hat, hat während des Törns ganze Arbeit geleistet und sich deshalb ein wenig Pflege verdient. Während also Randy hoch oben im Mast die Blessuren, die seine Positionslichter auf der Überfahrt erlitten haben, verarztet, poliere ich sämtliche Chromteile an Deck. Das ist nicht nur aus kosmetischer Sicht notwendig: Das Salzwasser greift den Stahl sehr stark an und nach einer längeren Fahrt, wie der letzten, bildet sich sofort eine leichte Rostschicht. Ich genieße diese gemütliche Arbeit, schenkt sie doch auch mir ein wenig Erholung von den Anstrengungen unserer fünftägigen Seefahrt bis hierher.

Ab und an winke ich dem Italiener von nebenan zu und bedanke mich auf Spanisch für seine Musikauswahl, mit deren Lautstärke er unser ganzes Dock beglückt. Er spricht zwar kein Spanisch, aber er scheint mein „gracias por la musica“ zu verstehen, denn er dreht noch einmal lauter. Mich stört es nicht, und es gäbe überhaupt kaum etwas, was mich an diesem Nachmittag stören könnte: Heute morgen erreichte mich die E-Mail von Phil, einem deutschen Kapitän, der gerade mit seinem Boot vor Fuerteventura liegt und demnächst Richtung Kapverdische Inseln ablegen möchte. Nächste Woche würde bei ihm eine Koje frei, das könne dann meine sein. Klar sagte ich zu! Ich bin ziemlich glücklich darüber, denn das schwarze Brett im Hafen von Gran Canaria ist randvoll mit Zetteln von Leuten wie mir, Anhaltern auf dem Ozean auf der Suche nach dem nächsten Boot.

Während ich poliere, kommt immer wieder jemand vorbei: „Suchst du noch Crew?“, tönt es auch gerne mal mehrstimmig durch den Zaun auf das Dock. Eine Ungarin wird schon seit Tagen nicht müde mit ihren Versuchen, die Kapitäne zu überreden, sie mitzunehmen, eine Französin versucht, sie mit ihrem Flötenspiel zu beeindrucken. Ein weiterer Italiener wirbt mit seinen Kochkünsten. Daniel, so sein Name, wird in den nächsten Tagen sein Boot Richtung Karibik finden. Chris dagegen, ein Engländer von etwa vierzig Jahren, hatte bislang weniger Glück, obwohl er eine Menge Erfahrung auf Segelbooten hat. „Jetzt bin ich schon vier Wochen in Las Palmas und langsam bin nervt mich die Warterei“, klagt er sein Leid. Ich schaue mir das Treiben an, versuche, meine Tramperkollegen mit meiner Geschichte zu motivieren und freue mich, erst einmal keine Sorgen mehr darüber haben zu müssen, wie ich weiter komme.
Käpt’n Randy im Mast © T. Peters
Es ist genau die richige Jahreszeit, über den Ozean zu segeln, das wissen auch die Anhalter. Die Hurrican-Saison ist vorbei und der Passatwind bläst zuverlässig aus Nordosten. Viele Fahrtensegler wollen im Dezember starten, entweder, um Weihnachten in der Karibik zu verbringen oder aber, um pünktlich zum Karneval in Brasilien anzukommen. Vor kurzem sind von Las Palmas aus hunderte Segelboote mit der größten Ozeanralley für Amateursegler, der „Atlantic Ralley for Cruisers“ mit dem Ziel Saint Lucia in See gestochen. Ab und an laufen tief betrübte Kapitäne mit ihren traurigen Crews und beschädigten Booten in den Hafen ein und suchen Trost bei anderen Segelfreunden.
Den finden sie abends vor allem in der „Sailors Bar“, einer urigen Hafenkneipe direkt an der Kaimauer. Hier beratschlagen sich die Segler aus dem Hafen über optimale Routen über die Meere und Ozeane, die Aufbewahrung von frischen Obst und Gemüse und vor allem geben sie sich Tipps für die verschiedensten Reparaturen an Bord.

Randy sitzt schon eine Weile hier, als ich das Polieren nach Sonnenuntergang aufgegeben habe und ebenfalls dort eintrudle. Er hält ein Bier in der Hand und unterhält sich mit Mike, einem amerikanischen Seebären alter Schule. Weißer Rauschebart, silberner Pferdezopf und braune, wettergegerbte Haut, auch die Tätowierungen auf den Unterarmen fehlen nicht. Die beiden sind in ihr Gespräch über vergangene und zukünftige Ozeanüberquerungen vertieft. Mike ist seit 25 Jahren auf einem nur sieben Meter großen Holzboot unterwegs und hat es in dieser Zeit auf beeindruckende 18 Atlantiküberquerungen gebracht.
„Atlantiküberquerungen sind im Passatwind eigentlich ein Kinderspiel“, sagt er, „der Törn hier herunter von Spanien aus kann viel kabbeliger werden“. Er muss es ja wissen, denke ich, und auch Randy ist seiner Meinung. Überhaupt ist das Gespräch der beiden eine einzige Schwärmerei vom Leben auf dem Ozean. „Bislang war ich jedes Mal traurig, wenn ich wieder in die Nähe des Schmutzes kam“, wobei er mit „Schmutz“ wohl das Land meint. „Ich habe sogar schon Reffs ins Segel gemacht, nur um länger auf See zu sein!“. Mike bestellt sich noch ein großes Glas Congnac und ein „Tropical“, das kanarische Bier, für Randy. Die beiden Seefahrer werden noch lange diskutieren heute Nacht. Ich dagegen verabschiede mich, um gemächlich „nach Hause“, also zurück an Bord der „Mystique“, zu schlendern.
Der Hafen von Las Palmas de Gran Canaria in der Abenddämmerung, GC 2008
Ich bin müde, aber sehr zufrieden mit mir und der Welt um mich herum. Die Klänge der Musik aus der „Sailors Bar“ werden hinter mir langsam leiser in dieser klaren Nacht. Die Sterne funkeln am Himmel und es sind kaum noch Geräusche zu hören. Die Bootsmechaniker haben längst Feierabend, und wer nicht, wie Randy und Mike, in der Sailors Bar sitzt und den Tag ausklingen lässt, liegt längst in seiner Koje. Die Temperaturen sind merklich abgekühlt, zum Glück ist auch der Wind fast eingeschlafen. Und so ist das Plätschern des Wassers am Rumpf der „Mystique“ für mich der letzte Klang meines kleinen Adventskonzerts von Las Palmas de Gran Canaria.